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Recht: Wanderer queren Weiden auf eigene Gefahr

Im Frühjahr hat das Landgericht Waldshut-Tiengen klare Vorgaben zum Umfang der Sorgfaltspflichten eines Landwirtes gegenüber Wanderern getroffen.

In dem Verfahren mit dem Aktenzeichen 4O164/23, dessen Urteil am 8. März 2024 fiel, ging es um eine Frau, die mit ihrem angeleinten Hund auf einem von der Gemeinde als Premiumwanderweg ausgeschilderten Weg unterwegs war. Dieser führte über eine mit Elektrozaun abgegrenzte Weide. Am Durchgang für Wanderer stand ein Hinweisschild: „Liebe Wanderer, Sie begehen die Almendweiden auf eigene Gefahr!!! Kühe mit Jungtieren, sowie Bullen und auch Pferde, können sich bedroht fühlen. Bleiben Sie bitte in einiger Entfernung, um die Tiere nicht zu beunruhigen. Hunde sollten Sie unbedingt an der Leine führen.“

Hinter dem Eingang in die Weide lagen einige Kühe auf dem Weg. Als die Frau mit dem Hund die Weide betrat, standen diese Rinder auf und blieben geschlossen vor ihr stehen. Die Frau drehte sich deshalb wieder zum Eingang um. Eines der Rinder habe ihr dann einen Stoß versetzt, sodass sie zu Boden gestürzt sei und sich schwere Verletzungen zugezogen habe, erklärte sie vor Gericht. Die Frau verlangte sowohl von dem Tierhalter wie auch von der Gemeinde, die den Wanderweg ausgewiesen hatte, Schadensersatz und Schmerzensgeld. Das Landgericht Waldshut-Tiengen entschied jedoch, dass ihr ein solcher Anspruch nicht zustehe

Unabhängig davon, dass nicht mit letzter Sicherheit aufgeklärt werden konnte, ob der Vorfall sich so zugetragen hat, hätte selbst dann der Landwirt nicht zu haften. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) regelt in § 833 Satz 2 ein Haftungsprivileg für den gewerblichen Tierhalter. Dieser haftet bei Schäden durch seine Tiere an anderen Personen oder Sachen dann nicht, wenn er diese mit der gebotenen Sorgfalt beaufsichtigt hat. Dieser Sorgfaltspflicht habe der Landwirt nach Ansicht des Gerichtes genügt. Eine gewerbliche Tierhaltung lag nach Feststellung des Gerichtes eindeutig vor. Bei den Kühen handelte es sich um Fleischrinder. Auch, dass der Landwirt für die Gemeindefläche Pacht zahle, belege, dass die Tierhaltung seiner Erwerbstätigkeit diene.

Der Tierhalter konnte auch beweisen, dass er die Tiere mit der gebotenen Sorgfalt beaufsichtigt hatte. Ein absoluter Schutz werde hier nicht verlangt. Entscheidend sei, wie sich ein durchschnittlich gewissenhafter Tierhalter unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls normalerweise verhalten hätte. Das war hier der Fall.

Der Landwirt hatte seine Rinder auf einer mit Elektrozaun umschlossenen Weide untergebracht. Die Rinder verfügten über kein besonderes Aggressionspotenzial. Vergleichbare Vorfälle mit Wanderern gab es vorher nicht. Und dann stand noch am Eingang der Weide das erwähnte Warnschild, das Wanderer ausdrücklich über die Gefahren beim Betreten der Weide informierte und bestimmte Verhaltensweisen empfahl. Damit habe der Landwirt seiner Sorgfaltspflicht genüge getan.

Erfreulicherweise stellte das Landgericht bei dieser Gelegenheit klar, dass eine vollständige Abzäunung von Wanderwegen durch eine Weide weder allgemein üblich noch gesetzlich verpflichtend vorgegeben sei. Und: Würde man noch weiter gehende Anforderungen im Rahmen der Sorgfaltspflicht an den Landwirt stellen, könnte dies die Weidehaltung, die auch aus Sicht des Tourismus attraktiv sei, praktisch unmöglich machen. Zudem habe die Frau in Kenntnis der Gefahrenlage mit ihrem Hund die Weide betreten, obwohl sich in der Nähe bereits Rinder befanden.

Auch eine Haftung aus Verkehrssicherungspflicht verneinte das Gericht sowohl beim Landwirt wie bei der Gemeinde. Im Einklang mit der herrschenden Rechtsprechung sei bei der Verkehrssicherungspflicht keine totale Sicherheit anzustreben. Es reiche vielmehr aus, wenn die Vorkehrungen zum Schutz anderer einen Sicherheitsgrad erreichten, den die herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält.

Mit Umzäunung der Weidefläche mit einem Durchgang für Wanderer und dem Hinweis auf die Gefahren und Verhaltensregeln wurde ein ausreichender Sicherheitsgrad erreicht, um der Verkehrssicherungspflicht zu genügen. Auch die Verkehrssicherungspflicht verpflichte nicht zur vollständigen Abzäunung von Wanderwegen durch eine Weide im ländlichen Bereich. Dabei nahm das Gericht auch das dem Landwirt bekannte Aggressionspotenzial seiner Kühe in den Blick. Da es sich um Kühe handele, von denen üblicherweise keine besonderen Gefahren für andere Menschen ausgehen, sei die Verletzung der Frau Folge eines bedauerlichen Unglücks. Dafür müssten weder der Landwirt noch die Gemeinde geradestehen, da sie ihre Sorgfaltspflichten beachtet haben.

Ergebnis: Wanderwege durch Weiden müssen grundsätzlich nicht eingezäunt werden. Ein Elektrozaun um die Weide herum reicht aus. Auf die Gefahren durch Weidetiere und empfohlenes Verhalten sollte durch Schilder am Eingang in die Weide hingewiesen werden. Der Landwirt sollte Weiden mit nicht ausgezäunten Wanderwegen nur mit Rindern beschicken, die kein besonderes Aggressionspotenzial haben.

Michael Nödl, Justitiar BLHV

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