Natur & Umwelt

Offener Brief: Lichtblick beim „Insektensterben“?

Dr. rer.nat. habil. Berthold Metzler                                       27. März 2019

Diplombiologe i.R.

Marchstr. 47

79211 Denzlingen

Fassung mit Literaturhinweisen

Die etwa seit den 90er Jahren rückläufigen oder fehlenden Mückenbeläge auf den Autoscheiben sind für viele ein deutliches Zeichen des Insektensterbens. Tatsächlich gibt es noch aus dem 20. Jahrhundert zahlreiche Berichte über riesige, an Rauchsäulen erinnernde Mückenschwärme wie wir sie jetzt nicht mehr kennen. Durch die Mückenschwärme kam es teils zu Einschränkungen der Sichtweiten auf 30-50 m. Nicht nur die Windschutzscheiben wurden durch die Insekten verklebt, sondern es wurden sogar Luftfilter der Autos verstopft. Wenn sich solche Mückenschwärme niederließen, bildeten sie zentimeterdicke Beläge auf der Vegetation und wurden dann als große Plage empfunden (Johnson und Munger 1930, Schumann 1974). Allenfalls aus Randbereichen Europas wie der südrussischen Stadt Taganrog gibt es noch aktuelle Berichte über solche Mückenmassen (RT 2018). 

Die Mückenschwärme bestanden meist aus Zuckmücken (Chironomiden). Ihren Namen haben diese von der typischen Bewegungsweise der Larven, die meist am Boden von stehenden Gewässern leben. In Mitteleuropa gibt es etwa 1000 Arten von Zuckmücken (Engelhardt 2008). Die mit Abstand häufigste Art ist Chironomus plumosus (engl. giant midge, übersetzt: Riesenmücke), die in vielen Teilen der Welt vorkommt. Das Besondere dieser Art ist, dass sie in durch Siedlungsabwässer verschmutzten Gewässern zeitweise fast ohne Sauerstoff auskommt und dann zu Massenvermehrungen mit bis zu 50.000 Larven pro Quadratmeter neigt (Engelhardt 2008, Frank 1979, 1983). Sauerstoffbedürftige Arten werden verdrängt. C. plumosus ist daher ein wichtiger und bekannter Anzeiger für sehr schlechte Wasserqualität und Schmutzwasser (Engelhardt 2008, Schwörbel und Brendelberger 2013). Die Larven der Riesenmücke ernähren sich von Mikroorganismen und Schwebstoffen. Sie sind bekannt als eine wichtige Nahrungsquelle für eine Vielzahl von Fischen (Johnson und Munger 1930), was Züchter von Speisefischen und Aquarianer zu schätzen wissen (Schumann 1974).

Die Verschmutzung der Gewässer in Deutschland hatte ihren Höhepunkt in den 1970er bis Mitte der 1980er Jahre (Frank 1978, Schwörbel und Brendelberger 2013). Die Politik der Wasserreinhaltung durch schrittweise Erfassung der Abwässer in Kläranlagen seit Beginn der 1970er Jahre zeigte nach einer Regenerationszeit sehr positive Wirkung. Beispielsweise ging der Phosphatgehalt des Bodensees bis zum Jahr 2000 auf den Wert von 1960 zurück (Schwörbel und Brendelberger 2013). Inzwischen klagen die Fischer über einen sehr geringen Fischbestand des Bodensees durch Nahrungsmangel (SZ 2016). Die Zuckmückenlarven können sich aufgrund der Nährstoffarmut des sauberen Wassers nicht mehr massenhaft entwickeln. Ebenso hat sich der Federsee (siehe Studien Frank 1979, 1983) in seiner Trophiestufe verbessert (LUBW 2015). Die Abundanz der Charakterarten von Gewässern niedriger Trophiestufen (z.B. Libellen, Eintagsfliegen, Steinfliegen, Köcherfliegen) ist offensichtlich deutlich geringer als von C. plumosus in schmutzigen Gewässern (z.B. Johnson und Munger 1930). Derart verschmutzte Gewässer, wie sie in Deutschland bis in die 1980er Jahre nicht selten waren, sind für uns heute nicht mehr vorstellbar.

Der Rückgang oder das Fehlen dieser Mückenschwärme ist also kein Anzeichen eines Besorgnis erregenden Insektensterbens sondern der Erfolg einer vorbildlichen Politik der Wasserreinhaltung.

Der politische Diskurs über ein allgemeines Insektensterben in Deutschland geht wesentlich auf die „Krefelder Studie“ zurück (Hallmann et al. 2017). Die Ergebnisse dieser Studie bestehen aus summarischen Daten des Gesamtgewichts von Fluginsekten, die mit bestimmten Fallen an verschiedenen Orten hauptsächlich in Nordrhein-Westfalen in der Nähe des Rheins in den Jahren zwischen 1989 und 2016 gefangen wurden. Leider geben die Autoren der Studie keine Anhaltspunkte, welche Arten oder welche Insektengruppen an diesem Gewicht beteiligt sind. Man kann vermuten, dass in den frühen Jahren der Untersuchung Mückenschwärme, insbesondere der Chironomiden aus den zahlreichen Stillgewässern in der Umgebung des Rheins wesentlich beteiligt waren und jetzt fehlen.

Über die Ursache eines Rückgangs von anderen Insektenarten oder -gruppen wird an dieser Stelle keine Aussage gemacht.

Literatur:

Engelhardt W, 2008, Was lebt in Tümpel, Bach und Weiher?, Kosmos, Stuttgart 313 S.

Frank Ch, 1979, Horizontale und vertikale Verteilung der Makrofauna  im Sediment des Federsees, Veröff. Landesst. Naturschutz Landschaftspfl BW 49/50: 441-454.

Frank Ch, 1983, Ecology, production and anaerobic metabolism of Chironomus plumosus L. larvae in a shallow lake. II. Anaerobic metabolism, Archiv für Hydrobiologie 96, n. 3, p. 354-362.

LUBW Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg, 2015:

ÜberwachungsprogrammeFließgewässer- Seen – Grundwasser Aktualisierung 2015 zur Umsetzung der EGWasserrahmenrichtlinie  https://www4.lubw.badenwuerttemberg.de/servlet/is/256391/ueberwachungsprogramme_fliessgewaesser_seen_grundwasser.pdf?com mand=downloadContent&filename=ueberwachungsprogramme_fliessgewaesser_seen_grundwasser.pdf

Hallmann CA, Sorg M, Jongejans E,Siepel H, Hofland N, Schwan H, et al., 2017, More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas, PLOSONE 12(10):e0185809.https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809.

Johnson MS; Munger F, 1930, Observations on Excessive Abundance of the Midge Chironomus plumosus at Lake Pepin, Ecology 11 (1): 110-126.

RT, 2018, „Aller Staub der Erde ward zu Mücken“: Insektenplage sucht Küstenstadt in Südrussland heim, https://www.youtube.com/watch?v=0FHXlW5y5Qw.

Schumann H, 1974, Familie Chironomidae – Zuckmücken, in Urania Tierreich, rororo Tierwelt, Bd.Insekten 3, S.445- 449.

Schwörbel J; Brendelberger H, 2013, Einführung in die Limnologie, Springer spektrum 10.Aufl.,386pp.

SZ 2016: Süddeutsche Zeitung 2.5.2016: Bodensee ist zu sauber für Fische.

https://www.sueddeutsche.de/bayern/wasserqualitaet-bodensee-ist-zu-sauber-fuer-fische-1.2975011.

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